Mike McCready kam am 5. April 1966 in Pensacola, Florida, auf die Welt – aber Florida war nur die Einleitung. Der eigentliche Plot begann, als seine Eltern, Roy und Louise, kurz nach seiner Geburt nach Seattle zogen. Eine Stadt, die damals nur ahnte, dass sie mal das Epizentrum einer globalen Rock-Explosion werden würde. Zu Hause liefen Hendrix und Santana auf Dauerschleife. Und irgendwo zwischen den Platten seines Vaters und dem Versuch, den Schulalltag nicht komplett zu hassen, verliebte sich Mike in die Gitarre. Mit elf bekam er seine erste – und das war’s. Keine Rückkehr. Kein Plan B. Nur Musik, Schweiß, und irgendwann Blasen an den Fingern, die aussahen, als hätte er mit Lava gespielt.
In der achten Klasse gründete er seine erste Band: Warrior – später Shadow. Klassischer Schulband-Kram: Cover von Hendrix, Aerosmith, Van Halen. Aber aus der Garage wurde schnell etwas Ernsteres. Shadow zog 1986 nach Los Angeles, um groß rauszukommen – und scheiterte krachend. „Wir waren keine gute Band“, sagte McCready später trocken. „Und in L.A. wurde uns das sehr klar.“ Frustriert, pleite und ohne Perspektive ging’s zurück nach Seattle. Shadow löste sich auf. Mike jobbt in einer Videothek, schreibt sich am Community College ein und verliert langsam die Lust auf alles – besonders auf Musik.
Dann kam Stevie Ray Vaughan. Ein Konzert, eine Nacht, ein Gitarrensolo, das sein ganzes Leben wieder entzündete. McCready griff wieder zur Gitarre, spielte bei einer kleinen Band namens Love Chile – und wurde von einem alten Freund entdeckt: Stone Gossard.
Stone, gerade frisch aus dem Desaster namens Mother Love Bone, hörte Mike spielen und dachte sich wohl: „Verdammt, das ist der Typ.“ Gemeinsam holten sie Jeff Ament dazu – und so begann das, was bald Pearl Jam werden sollte. Doch bevor „Alive“ die Welt erschütterte, kam noch ein Zwischenspiel: Temple of the Dog.
Eine Hommage an den verstorbenen Mother Love Bone-Frontmann Andrew Wood. McCready, Gossard, Ament, Chris Cornell von Soundgarden, und ein gewisser Typ aus San Diego namens Eddie Vedder, der gerade frisch in Seattle war. Temple of the Dog brachte 1991 ein Album raus – melancholisch, ehrlich, voller Schmerz – und es wurde Platin. Kurz danach formierte sich Pearl Jam offiziell. 1991: Ten erschien. Und die Welt drehte durch. „Alive“, „Even Flow“, „Jeremy“ – McCready lieferte Soli, die nicht aus Noten bestanden, sondern aus Emotionen. Ten ging Diamond, Vs. siebenfach Platin, Vitalogy fünffach. Grunge war plötzlich überall, MTV lief heiß, und Pearl Jam wurden unfreiwillig zu Ikonen.
Aber Erfolg ist kein Heilmittel. McCready kämpfte mit Drogen, Depressionen und – wie sich herausstellte – Morbus Crohn (böse Scheißerei), einer chronischen Darmentzündung, die ihm mit 21 diagnostiziert wurde. Viele hätten aufgegeben. Mike nicht. Er kämpfte. Gegen Krankheit, gegen Sucht, gegen sich selbst. Und irgendwann kam er klar. Nicht perfekt, aber ehrlich. Während Pearl Jam weiter durch die Jahrzehnte ballerte – Yield, Binaural, Riot Act, Backspacer, Lightning Bolt, Gigaton – fand McCready immer wieder Wege, neue Musik zu machen. Mad Season, mit Layne Staley von Alice in Chains. Das Album Above (1995) – düster, emotional, wunderschön. The Rockfords, Flight to Mars, The Levee Walkers – überall tauchte er auf, als ob er nie genug Töne im Leben spielen könnte.
Und wenn er mal nicht spielte, kämpfte er. Für Menschen mit Morbus Crohn. Für Suchterkrankte. Für faire Gesundheitsreformen. Er gründete HockeyTalkter Records, half MusiCares, und trat bei Benefizveranstaltungen auf, weil er wusste, dass Ruhm ohne Menschlichkeit wertlos ist. Privat ist er seit Jahren mit Ashley O’Connor verheiratet, hat drei Kinder, eine beeindruckende Gitarrensammlung (darunter seine legendäre Stratocaster aus den Ten-Sessions), und lebt bodenständig in Seattle – der Stadt, die ihm alles gab und fast alles nahm. 2017 wurde Pearl Jam in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen.
Mike nahm es wie immer gelassen. Kein Pomp, kein Ego, nur Dankbarkeit. Heute, fast vier Jahrzehnte nach seinen ersten Akkorden, arbeitet McCready an einer Rockoper über die Musikszene von Seattle – eine Art musikalisches Denkmal für die Stadt, die den Grunge geboren und begraben hat. Mike McCready ist kein Gitarrengott. Er ist ein Überlebender. Einer, der Chaos, Schmerz und Sound zu einer Kunstform gemacht hat. Und das vielleicht Beeindruckendste an ihm? Er spielt immer noch, als würde er alles verlieren, wenn er aufhört.